Benachteiligung von Frauen überwinden – mit und durch das bedingungslose Grundeinkommen

Ein BGE, das auf der Individualisierung aller Ansprüche im Steuer- und Sozialbereich fußt und ein ausreichendes persönliches Teilhabe-Einkommen als Basis für weitere ökonomische Teilhabe in Wirtschaft und Gesellschaft bietet, kann die Frauen in eine gerechte Position bringen, von der aus sie nicht nur ihre ökonomisch unabhängigen Leben leben und vor allem diese endlich auch einmal planen können, sondern in denen sie auch über gesellschaftliche Ressourcen verfügen, die weitere Perspektiven für uns Alle bieten: für Kinder, Alte und professionell Aktive und unsere sozial-ökologischen Lebensgrundlagen.

von Dipl.-Vw. Renate Straetling

Die europäischen Frauen sind heute im Durchschnitt gebildeter und ausgebildeter denn je. Sie haben Ausbildungen und berufliche Praxis in einer bisher nie gekannten Vielzahl von Berufen erstritten. Sie leisten Pionierarbeit in Kultur, Kunst und Wirtschaft und haben nationale und europäische Gesetze zur Antidiskriminierung und Gleichstellung erkämpft. Sie haben im Beruf, in Firmen und mit Projekten Berge versetzt und erarbeiten auch auf wissenschaftlicher Ebene ihre Forderungen an die Gleichstellung der Geschlechter und für bessere Rahmenbedingungen.- Zudem kommunizieren sie öffentlich und demokratisch über ihr Verharren in benachteiligten Positionen. Und trotz allem erhalten sie immer noch ein viel zu kleines Stück vom Kuchen?

Gründe für einen großen Paradigmenwechsel im Sozialen

Wir müssen heute – mehr denn je – unseren Blick auf die Wechselwirkungen und gegenseitigen Abhängigkeiten in unserer Gesellschaft richten, um dort anzusetzen, wo die gesellschaftliche Realität und das von uns gewünschte Zukunftsleitbild auseinander driftet. Wir brauchen neue weitende oder auch präzisere Begriffe und müssen diese an der doppelgesichtigen Realität weiterentwickeln.

Ein Beispiel dafür ist, dass in unserer Gesellschaft nach wie vor das Leitbild des männlichen Alleinernährers in der Kleinfamilie ebenso wie im Steuer- und Sozialrecht gilt. Gleichzeitig hat sich jedoch die Realität der Frauen vom Leitbild der ausschließlichen Hausfrau und Mutter wegentwickelt. Die vielfach gut ausgebildeten Frauen finden sich heutzutage vielmehr in der undankbaren Zweieinhalb-Rolle gefangen, bei der sie neben der Partner- und Mutterarbeit zusätzlich die heute oft übliche Teilzeiterwerbsarbeit stemmen müssen.

Ablesen lässt sich die immer noch bestehende Misere an den in der Höhe kleinen Altersrenten, die deutsche Frauen im Durchschnitt ergattern: Es sind klägliche etwa 40 bis 50 Prozent des durchschnittlichen Rentenniveaus der deutschen Männer; im Jahre 2006 betrugen die Brutto-Altersrenten der deutschen Männer 1076 € (West) bzw. 1114 € (Ost) und im Vergleich dazu die Brutto-Altersrenten der Frauen 473 € (West) bzw. 668 € (Ost).

In Umfragen ist immer wieder deutlich geworden, dass viele Menschen heute egalitäre(re) Lebensformen bevorzugen und sich auch die persönlichen Präferenzen von Männern und Frauen bezüglich des Umfangs der wöchentlichen Erwerbsarbeitszeiten immer weiter angleichen: Frauen möchten mehr bezahlte Erwerbsstunden als in Minijobs oder in Halbtagsbeschäftigungen, und Männer weniger als in Vollzeit nebst Überstunden beschäftigt sein.

Darüberhinaus stellt sich für unsere älter werdende und gleichzeitig schrumpfende Gesellschaft die Frage nach der Übernahme und der Aufteilung all derjenigen Pflegearbeiten, die mit der möglichst menschenwürdigen, haushaltsnahen Versorgung der immer älter werdenden Seniorenschaft einhergeht.

Was aber kann nun den Frauen, die bisher die Grundlagen aller Erziehungs- und Pflege-Arbeiten wie Kindererziehung, Krankenpflege und Altenpflege nach dem traditionellen Hausfrauen-Leitbild in ökonomischer Abhängigkeit geleistet haben, aus der Bredouille helfen?

Kontrastiert sei der Inhalt dieser Frage mit dem Tatbestand, dass nunmehr die Nachkriegsgeneration(en), z.B. die in den Jahren 1957 bis 1961 Geborenen im Jahre 2005 unter den deutschen West-Frauen prognostizierte 33,2 Jahre (Männer, West 37,8 Jahre) und die bundesdeutschen Ost-Frauen 37,5 Jahre (Männer, Ost 38,5 Jahre) im Erwerbssystem verweilen werden (Erster Gleichstellungbericht, 2011: 114). Bei einem nun nur noch so geringem Unterschied von Erwerbsjahren von 4,6 (West) bzw. 1,0 (Ost) Jahr(en) im gesamten Lebensverlauf, stellt sich die Sicht auf eine Rentendifferenz von etwa 50 bis 60% umso dringender. Denn diese erklärt sich nicht nur mit alten und gewandelten Leitbildern, sondern vorwiegend mit massiven und im Laufe eines Erwerbslebens sich verstärkenden rechtlichen vor allem auch systematisch-indirekten Benachteiligungen.

Viele, die die Gleichstellungsdiskussionen und die Beobachtungen des bundesdeutschen Arbeitsmarktes der vergangenen Jahrzehnte kennen, wissen um den beharrlichen gender gap, der sich hier auftut, weil die erwerbs- und ehezentrierten Leitbilder der Frauen an den beharrlichen Barrieren wie den gläsernen Decken, der fehlenden Kinderbetreuung und unterbliebenen Quotenregelungen der Erwerbsarbeitswelt scheitern.
Schließlich ist es nicht die Armut durch Arbeitslosigkeit, die den Frauen die niedrigen Renten beschert, sondern die Erwerbszentrierung der heutigen sozialen Sicherungssysteme,. Diese sind immer noch nicht an die neuen Lebensmuster der Menschen angepasst worden. Zudem bürdet die besondere (leitbildartige) Zweieinhalb-Belastung der alleinerziehenden, geschiedenen und verwitweten Frauen durch prekäre und nicht existenzsichernde Beschäftigungen weitere Folgelasten auf. Im Gleichstellungsbericht dazu: “Die Betrachtung der Erwerbsbeteiligung von Frauen verschiedener Altersgruppen zu Beginn des Jahres 2010 zeigt, dass Frauen in Deutschland vor allem in den Altersgruppen zwischen 35 und 54 Jahren auf dem Arbeitsmarkt aktiv sind. Ihr höchstes Niveau erreicht die Erwerbstätigenquote von Frauen gegenwärtig mit knapp 80 Prozent in der Gruppe der 40- bis 44-Jährigen.” (Erster Gleichstellungsbericht, 2011: 110) Und noch krasser für die Jahrgänge 1940 bis 1955: “Nur 15 Prozent der westdeutschen Frauen gehören (…) zu den langjährig sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die mehr als 90 Prozent der potenziellen Erwerbszeit auch tatsächlich mit Beiträgen belegt haben.” (Erster Gleichstellungsbericht, 2011: 114)
Also auch die niedrigere Erwerbsbeteiligung der Frauen hat Konsequenzen im Lebensverlauf und für die ökonomische Unabhängigkeit im Leben.

Auch das Ehegattensplitting, das ein Eheleben lang quasi nur den Trauschein honoriert in Partnerschaften, bei denen außerdem sehr stark in der Höhe differierende Einkommen der einzelnen Partner vorliegen (der maximale Splittingvorteil beträgt im Jahre 2013 bis zu etwa 15.700 € bei einem gemeinsamen zu versteuerndem Einkommen von mehr als 501.462 €), und nicht die Erziehung der Kinder oder
sonstige Leistungen an und für die Gesellschaft. Dies gehört sicher nicht zu den gerechtesten steuergesetzlichen Regelungen in einer ohnehin fast unübersehbaren Landschaft von heute über 150 bestehenden Instrumenten der Familienförderpolitik und der für die Geschlechtergleichstellung verzwickt verschränkten Steuer- und Sozialgesetze.

Die bundesdeutsche Partei Bündnis 90/Die Grünen fordert daher eine Deckelung dieses Splittingvorteils und stattdessen eine verbesserte direkte Kinderförderung durch eine Kindergrundsicherung in gleicher Höhe für alle Kinder.

Es lauern viele weitere Fallstricke und Benachteiligungen im Detail, die z.B. ein junger Mensch für seine Lebensplanung nicht ahnen kann. Deswegen müssen wird diese immer wieder allgemeinverständlich thematisieren als ein Versäumnis des Staates und den Gegensatz zu den heute verbreiteten Lebensvorstellungen hervorheben. Die viel kritisierte SGB-II-Reform von 2005 wirft die Frauen mit den eingeführten Bedarfsgemeinschaften (BG) ebenso auf eine (falsch) unterstellte Familiensubsidiarität zurück wie verwitwete Frauen, die vielleicht im Laufe ihres Lebens nochmals wiederheiraten oder eine neue Lebenspartnerschaft eingehen möchten und dann, den Anspruch der Witwenrente aus der vorherigen Ehe verlieren: Wie und mit welcher Begründung kann man verwitwete Frauen, die mit ihren später verstorbenen Ehemännern eine Familie gründeten, Kinder großzogen und womöglich eine Firma oder eine Praxis aufbauten, von einer Witwenrente bei Wiederverheiratung oder nur bei einer neuen Verpartnerung ausschließen?

Heute werden etwa 50 Prozent der deutschen Kinder außerehelich geboren. Eine Vielzahl an neuen Lebensmodellen wurde und wird gelebt. Doch die nach dem Gesetz alleinstehenden Mütter zahlen einen sehr hohen Preis dafür: Sie mögen zunächst unabhängig in den jungen Jahren ihrer Kinder sein, aber im Alter rächt sich das System mit der ökonomischen Abhängigkeit im Alter durch kleine, nicht existenzsichernde Altersrenten. Diese gehen in ihrer Bescheidenheit mit indirekten gesetzlichen Folgelasten aufgrund des heutig pragmatisch und prekär praktizierten Zweieinhalb-Frauenleitbild einher.

Viele Details zu den Wirkungen der gesetzlichen Regelungen ließen sich noch anführen, im Rahmen dieses Statements möchte ich es bei der Skizze der großen relevanten Benachteiligungen der systematisch-nachteiligen Verschränkungen von Anspruch und Wirklichkeit der heutigen erwerbsarbeitsmarktlichen Realisierungschancen belassen.

Insofern hat – wie Viele heute schon aus langen Diskussionen und vielen Publikationen und Statistikreports wissen – unser Steuer- und Sozialrecht neben den Hemmnissen durch die traditionellen Auswahlkriterien der Arbeitgeber gegenüber Frauenbeschäftigung massive indirekte Auswirkungen auf die Lebensverlaufsperspektive der Frauen und deren ökonomische Abhängigkeit, die im Laufe der individuellen Biografie kumulieren und das Aufnehmen einer bezahlten steuerpflichtigen Tätigkeit nach einer Familienphase wenig attraktiv erscheinen lassen, obwohl gerade dann die z.B. Splittingvorteile nur größer erscheinen als die spätere wirkliche Lücke bei den Rentenansprüchen der Frauen und Mütter.

Ein Wechsel des Paradigmas weg von einem seit Einführung der Sozialversicherungen am Ende des 19. Jahrhunderts ausschließlich erwerbszentrierten Modell der Sozialpolitik hin zu einem auch die modernen Lebensentwürfe der Menschen inkludierenden Basismodell der zivilgesellschaftlichen Sicherung ist daher notwendiger denn je. Unser Ziel sollte es sein individualisierte Optionen von Freiheit und Gleichheit von aller Bürger_innen im Hinblick auf eine symmetrischere Partizipation am Erwerbsarbeitsmarkt sicherzustellen.

Kann das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) helfen, die Benachteiligung der Frauen zu beenden?

Das BGE als zwangfreies Grundeinkommen an jede Bürgerin und jeden Bürger stellt die Menschen frei, emanzipiert von den Bedingungen des Erwerbsarbeitsmarktes und ermöglicht eine verbesserte aktive Wahl in der Berufspraxis und bei der Vertragsform von Seiten der Arbeitnehmer_innen.

Das BGE ist jedoch in einer geschlechtsneutralen Fassung noch kein allheilendes direktes Mittel, sich auch am Arbeitsmarkt zu behaupten und dort geschlechtsgleiche Bedingungen wie gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu erreichen.

Nun wird den Frauen, und auch den vielen jungen hochrangig universitär oder in anderen modernen Berufen ausgebildeten, unterstellt, sie wollten das BGE als Prämie für glamouröse oder sonstwie entspannte Privatheit oder als einen Bonus wie für das bereits in den 1970ern wieder verworfene Konzept des “Lohn für Hausarbeit” mitnehmen.- Das ist so als wolle man diesen jungen Frauen das Interesse an verantwortungsvoller professioneller Gestaltung unserer Gesellschaft absprechen, ein aktives Desinteresse am freelancing zusprechen und gar die absichtliche Inkaufnahme von Unterbezahlung im Beruf oberhalb eines BGE unterstellen.

So geht es nicht mehr!

Das Bewusstsein über die systematischen Nachteile des bisherigen Sozialversicherungswesens und die volkswirtschaftliche Gestaltung der Wechselwirkungen von BGE und gesetzlichem Mindestlohn (GML), werden uns helfen, das Spannungsfeld zwischen individueller ökonomischer Unabhängigkeit und der Sicherung des solidarischen Ausgleichs über das steuerfinanzierte Grundeinkommen zu sorgen. Auf diese Weise wird auch mehr Freiheit und Gerechtigkeit zwischen den Menschen, den Geschlechtern und zwischen der Jugend und den Alten in unserer Gesellschaft ermöglicht.

Ein BGE ist ein direktes emanzipatorisches Mittel für all die vielen aufgeweckten Menschen in unserer Gesellschaft, die sich der Inklusion widmen und der Modernisierung unserer Gesellschaft in der Familie und an den Arbeitsplätzen.

Setzt man voraus, was ich eingangs aufführte, dass wir die Wechselwirkungen und die verhärteten Knotenpunkte von nachteiligen Verschränkungen in allen Erwerbs-, Tätigkeits- und Care-Bereichen untersuchen und auflösen, dann können wir auch das mit BGE nebst und mit dem gesetzlichen Mindestlohn bewegen.

Ein BGE, das auf der Individualisierung aller Ansprüche im Steuer- und Sozialbereich fußt und ein ausreichendes persönliches Teilhabe-Einkommen als Basis für weitere ökonomische Teilhabe in Wirtschaft und Gesellschaft bietet, kann die Frauen in eine gerechte Position bringen, von der aus sie nicht nur ihre ökonomisch unabhängigen Leben leben und vor allem diese endlich auch einmal planen können, sondern in denen sie auch über gesellschaftliche Ressourcen verfügen, die weitere Perspektiven für uns Alle bieten: für Kinder, Alte und professionell Aktive und unsere sozial-ökologischen Lebensgrundlagen.

Verwandte Artikel